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Enzyklopädie der Schlafmedizin
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Publiziert am: 06.02.2024

Sexualhormone

Verfasst von: Andrea Rodenbeck
Die Plasmaspiegel der Sexualhormone aus den Gruppen der Androgene, Östrogene und Gestagene weisen im Vergleich geschlechtsreifer Frauen und Männer Unterschiede auf. Die daran assoziierten Unterschiede im Auftreten der führenden schlafmedizinischen Beschwerden Insomnie und Tagesschläfrigkeit werden in diesem Beitrag dargestellt, ebenso die geschlechtsspezifische Prädisposition zu bestimmten schlafmedizinischen Erkrankungen wie Schlafbezogene Bewegungsstörungen und Schlafbezogene Atmungsstörungen. Bezüglich des weiblichen Geschlechts werden zyklusabhängige und klimakterische Schlafstörungen beschrieben und ihre Therapierbarkeit diskutiert. Darüber hinaus werden auch geschlechts- und altersspezifische Einflüsse auf die Hypophyse und Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenachse (HPA-Achse) einbezogen.

Synonyme

Geschlechtshormone

Englischer Begriff

sexual hormones

Definition

Die Plasmaspiegel der Sexualhormone aus den Gruppen der Androgene, Östrogene und Gestagene weisen im Vergleich geschlechtsreifer Frauen und Männer bekanntlich Unterschiede auf. Die daran assoziierten Unterschiede im Auftreten der führenden schlafmedizinischen Beschwerden Insomnie und Tagesschläfrigkeit werden in diesem Beitrag dargestellt, ebenso die geschlechtsspezifische Prädisposition zu bestimmten schlafmedizinischen Erkrankungen wie Schlafbezogene Bewegungsstörungen und Schlafbezogene Atmungsstörungen. Bezüglich des weiblichen Geschlechts werden zyklusabhängige und klimakterische Schlafstörungen beschrieben und ihre Therapierbarkeit diskutiert. Darüber hinaus werden auch geschlechts- und altersspezifische Einflüsse auf die „Hypophyse und Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenachse“ (HPA-Achse) einbezogen.

Grundlagen

Epidemiologie

Schlafstörungen zeigen eine deutliche Geschlechtsbetonung, wobei in den meisten Untersuchungen Frauen häufiger unter „Insomnien“ leiden, während sich bei Männern eher Störungen finden, die mit „Tagesschläfrigkeit“ einhergehen. Auch fanden sich hinsichtlich der Häufigkeit von subjektiven Schlafproblemen signifikante Geschlechtsunterschiede im Altersverlauf bei den 20- bis 30-, 50- bis 60- und über 70-Jährigen („Lebensalter“). Die Prävalenzrate klinisch behandlungsbedürftiger Ein- und Durchschlafstörungen liegt bei Frauen bei 5 %, bei Männern dagegen bei 3 %. Die Prävalenz Schlafbezogener Atmungsstörungen (SBAS; siehe „Schlafbezogene Atmungsstörungen“) ist in den meisten Untersuchungen bei Männern doppelt so hoch wie bei Frauen. Dieser Häufigkeitsunterschied findet sich zumeist aber nur in Populationen bis zum Alter von etwa 55 Jahren (Wisconsin Sleep Cohort Study), das heißt postmenopausal weisen Frauen dieselbe Inzidenz an Schlafbezogenen Atmungsstörungen auf wie Männer. Dagegen tritt sowohl das „Restless-Legs-Syndrom“ (RLS) als auch die „Periodic Limb Movement Disorder“ (PLMD) bei Frauen häufiger auf, wobei die Prävalenz bei Frauen fast doppelt so hoch ist.
Insgesamt können die epidemiologischen Befunde in ihrer Gesamtheit als Hinweise auf einen hormonellen Einfluss auf die Schlafregulation gewertet werden.

Sexualhormone und Schlaf

Als wesentliche psychoneuroendokrine Faktoren in der Pathogenese sowohl von insomnischen Schlafstörungen als auch von Depressionen gelten Stress, Alter, eine verminderte serotonerge Syntheserate und eine erhöhte Aktivität der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenachse (HPA-Achse), was jedoch nicht die erhöhte Prävalenz bei Frauen erklärt. Hinsichtlich einer geschlechtsbestimmten Auswirkung von Stressbelastung auf den Schlaf existieren nur wenige Untersuchungen. Bei Gesunden wurde im Vergleich zu altersgleichen Männern eine höhere Kortisolsekretion als Maß für die Aktivität der HPA-Achse in der ersten Nachthälfte bei jüngeren Frauen berichtet, während sich bei älteren Frauen eine stärkere Vorverlagerung des nächtlichen Kortisolanstiegs, höhere morgendliche Werte und eine Vorverlagerung der Temperaturrhythmik fanden. Zyklusabhängig kam es zudem in der Lutealphase zu einer Zunahme der Sigmafrequenz und damit der Spindelaktivität im „Elektroenzephalogramm“ (EEG), was eng mit der Temperaturerhöhung sowohl am Morgen als auch in der Nacht korrelierte (siehe auch „Leichtschlaf, charakteristische Veränderungen in der Kardiorespiratorischen Polysomnographie“). Diese Zunahme war auf die zweite Nachthälfte beschränkt und ging mit einer vermehrten Kortisolsekretion in der ersten Nachthälfte einher (Antonijevic 2004). Auch andere Arbeitsgruppen fanden bei bis zu 50-jährigen Frauen eine erhöhte Spindelaktivität im Vergleich zu Männern.
Ausgehend von diesen Feinanalysen der nächtlichen Kortisolsekretion und der EEG-Parameter kann daher sowohl von zyklusabhängigen Schlafveränderungen als auch von einer prinzipiell geschlechtsbestimmten Schlafregulation ausgegangen werden, wenn auch in neueren polysomnographischen Untersuchungen geschlechtsbestimmte Unterschiede in der Schlafstruktur nur auf bestimmte Altersgruppen beschränkt sind. Dies gilt zum Beispiel für die erhöhte Spindelaktivität bei bis zu 50-jährigen Frauen und die vermehrte Deltaaktivität bei älteren Frauen, jeweils im Vergleich zu Männern gleichen Alters.
In zahlreichen hypothalamischen Regionen konnte jedoch eine östrogenabhängige c-fos-Expression und in Post-mortem-Untersuchungen bei Frauen eine höhere Immunreaktivität der Östrogen-alpha-Rezeptoren in den Zellkernen des suprachiasmatischen Nukleus (SCN), der Inneren Uhr des Menschen, nachgewiesen werden („Chronobiologie“). Östrogene können also direkt auf den Master-Zeitgeber zirkadianer biologischer Rhythmen wirken und damit zum Beispiel Veränderungen der Temperaturrhythmik und nachfolgend Schlafstörungen und/oder Veränderungen der NREM-REM-Rhythmik auslösen oder auch die Spindelaktivität erhöhen. Östrogen vermindert zudem die GABA-Rezeptorenproduktion und steigert die glutamaterge NMDA-Aktivität. Als Gegenspieler hinsichtlich der GABAergen Wirkung wirken das in der Lutealphase ebenfalls erhöhte Progesteron und seine Derivate, die sowohl die Effektivität der inhibitorischen GABA-Rezeptoren steigert als auch die Aktivität der exzitatorischen Aminosäure Glutamat hemmen („Neurotransmitter“). Schlafstörungen wären demnach insbesondere in der Follikelphase mit hohem Östrogen- und niedrigem Progesteronspiegel zu erwarten, nicht jedoch in der Lutealphase, in der beide Hormone relativ hohe Konzentrationen erreichen. Bei gesunden Frauen lassen sich keine menstruationsabhängigen Schlafstörungen objektivieren, jedoch finden sich geringe zyklusabhängige Unterschiede in der Feinanalyse schlafspezifischer Frequenzbänder des Elektroenzephalogramms und in der Temperaturrhythmik. Bei Frauen, die unter einem Prämenstruellen Syndrom litten, konnte hingegen gezeigt werden, dass sich der Schlaf-Wach-Rhythmus in der Follikelphase progressiv vorverlagert und in der Lutealphase rückverlagert. Die Temperaturrhythmik änderte sich in gleicher Weise, jedoch mit einem jeweils früheren Beginn der Verlagerung, sodass es zur Dissoziation dieser Rhythmen zur Zeit der Ovulation und der Menstruation kommt. Diese Dissoziation kann wiederum eine Schlafstörung oder eine verminderte Tagesbefindlichkeit verursachen.

Sexualhormone und schlafmedizinische Erkrankungen

Sowohl die Menopause als auch eine bestehende Schwangerschaft (bei 30 % der Schwangeren) kann ein Restless-Legs-Syndrom (RLS) und eine Periodic Limb Movement Disorder (PLMD) auslösen (siehe auch „Schwangerschaftsbezogene Schlafstörung“). Tierexperimentell kommt es während der Schwangerschaft zu einem Wegfall des stimulierenden Feedbacks von „Prolaktin“ auf die dopaminergen Neurone und somit zu einem funktionellen Dopaminmangel. Insbesondere bei Frauen mit positiver Familienanamnese kann dies möglicherweise zu Schlafbezogenen Bewegungsstörungen führen. Es ist derzeit völlig unklar, ob die geschilderten diskreten Veränderungen innerhalb des Zyklus zumindest teilweise auch mit dopaminergen Änderungen einhergehen.
Hinsichtlich der Obstruktiven Schlafapnoe ist das Risiko eines Apnoe-Hypopnoe-Index (AHI) > 15/Stunde postmenopausal 3,5-fach erhöht. Gleichzeitig weisen Frauen mit einem AHI > 10/Stunde geringere Konzentrationen von Progesteron und Östrogen auf (Netzer et al. 2003). Diskutiert wird auch ein Zusammenhang mit der Genioglossusaktivität, die zudem in der Lutealphase am höchsten ist. Für eine geschlechtsbestimmte Pathophysiologie der Schlafapnoe sprechen auch die bei Frauen signifikante Erhöhung einiger Parameter des oxidativen Stresses und deren Korrelation zum Abfall der Sauerstoffsättigung während der respiratorischen Ereignisse („Obstruktive Schlafapnoe“).
Die sehr diskreten Unterschiede in Querschnittsuntersuchungen lassen vermuten, dass geschlechtsbestimmte Unterschiede vor allem dann sichtbar werden, wenn tatsächlich Störungen auf die Schlaf-Wach-Regulation einwirken. Umgekehrt lassen aber Untersuchungen zu den Effekten einer Hormonersatztherapie (HRT) Rückschlüsse auf Einflüsse der Sexualhormone auf den Schlaf zu. Jedoch berücksichtigten die meisten Untersuchungen zur Wirkung einer Hormonersatztherapie beziehungsweise zu zyklusabhängigen Schlafveränderungen keine zusätzlichen Parameter der Kardiorespiratorischen Polysomnographie (siehe „Kardiorespiratorische Polysomnographie“) zur Erfassung möglicher organischer Ursachen der Schlafstörung.

Beschwerdebilder

Epidemiologische Untersuchungen berichten, dass Frauen häufiger über Ein- und Durchschlafstörungen klagen, während sich bei Männern eher hypersomnische Beschwerden finden. Im Gesundheitsbericht des Bundes von 1998 fand sich „Schlaflosigkeit“ in mäßiger oder starker Ausprägung bei 17 % beziehungsweise 13 % der Männer (alte beziehungsweise neue Bundesländer) und bei 26 % beziehungsweise 27 % der Frauen. Ein mäßig oder stark vorhandenes „übermäßiges Schlafbedürfnis“ wies der Bericht für 18 % der deutschen Männer, aber 29 % der Frauen aus. Damit geben Frauen häufiger als Männer sowohl Beschwerden der Insomnie als auch der Tagesschläfrigkeit an. Dies entspricht einer neueren klinischen Untersuchung, nach der Frauen mit dem Symptom „Schnarchen“ signifikant häufiger als Männer über Tagesschläfrigkeit als Leitsymptom einer Schlafbezogenen Atmungsstörung berichten.
Innerhalb des Menstruationszyklus fanden mehrere neuere Studien entweder keine Unterschiede oder nur Differenzen bezüglich der subjektiven Schlafqualität, nicht jedoch hinsichtlich subjektiver und objektiver Schlafmaße oder der Morgenbefindlichkeit. Schlafstörungen während und nach einer Schwangerschaft sind häufig, wobei weniger die 24-stündige Gesamtschlafzeit betroffen ist als vielmehr eine Schlaffragmentierung mit gehäuftem nächtlichen Erwachen und Tagesnickerchen. Dabei ist die Schlafqualität bei Patientinnen mit einer postnatalen Depression schlechter. Die Betroffenen weisen gegen Ende der Schwangerschaft eine längere Schlafzeit, ein späteres morgendliches Erwachen und mehr Schlafpausen tagsüber im Vergleich zu Frauen ohne postnatale Depression auf. Auch die Menopause scheint nur einen geringen Einfluss auf die Häufigkeit von Schlafbeschwerden zu haben, sofern altersgleiche Gruppen untersucht werden (Jansson et al. 2003). In diesem Zusammenhang wiesen mehrere Gruppen auf die Bedeutung nächtlicher Hitzewallungen („hot flushes“) und Muskelschmerzen als Grund der Schlafstörung hin, auch wenn ein polysomnographisch gesicherter Zusammenhang derzeit fraglich ist. Allein die vasomotorischen Störungen erklären in einer statistischen Analyse zu 30 % den zeitlichen Zusammenhang von Schlafstörungen mit der Menopausesymptomatik.
Gleichzeitig spielen zahlreiche psychosoziale Faktoren und komorbide Erkrankungen wie depressive Störungen und Angsterkrankungen (siehe „Angststörungen“) sowie Bildung und Stress eine erhebliche Rolle in der Wahrnehmung der Beschwerden.
Untersuchungen hinsichtlich der Berücksichtigung des Geschlechts in der Diagnostik von Schlafstörungen liegen bisher nicht vor. Ausgehend von der klinischen Erfahrung, findet sich jedoch bei Frauen mit der klinischen Symptomatik einer Insomnie in Schlaflaboruntersuchungen häufiger eine organische Ursache der Schlafstörung.

Hormonbehandlung

In der Therapie von organischen und nichtorganischen Schlafstörungen existieren bislang keine systematischen Untersuchungen hinsichtlich des Geschlechtsunterschieds. Zahlreiche Einzelbefunde zeigen, dass die Gabe von Östrogenen und meist noch deutlicher von einer Östrogen-Progesteron-Kombination bei Frauen im Rahmen einer Hormonersatztherapie zumindest subjektiv schlafverbessernd wirkt, wobei die polysomnographisch objektivierbaren globalen Schlafmaße mehrheitlich eher inkonsistente Effekte aufweisen. Bei postmenopausalen Frauen zeigten sich deutliche Effekte einer Östrogentherapie hinsichtlich einer Normalisierung der Tiefschlafverteilung über die Nacht (Antonijevic 2004). Ein subjektiver Unterschied zu Frauen ohne Hormonersatztherapie ist nicht mehr gegeben, wenn die Einnahme im Mittel 15 Monate beträgt. Vor allem Frauen mit erhöhter Stressbelastung scheinen häufiger zu einer Hormonersatztherapie zu greifen. Als möglicher Grund wird eine verminderte Tagesvigilanz vermutet, die entweder Ursache oder Folge der Schlafstörung ist, da eine Hormonersatztherapie auch die Informationsverarbeitungskapazität verbessert und zu einer höheren Extraversion nach zweimonatiger Behandlung führt. Insgesamt wird aus den existierenden Studien deutlich, dass die Schlafverbesserung unter Hormonersatztherapie eher eine indirekte Folge der sonstigen gebesserten Symptomatik ist. Mittlerweile konnten viele Studien zeigen, dass eine Hormonersatztherapie die Apnoehäufigkeit bei Patientinnen mit Obstruktiver Schlafapnoe postmenopausal senkt. In der einzigen Studie zur Wirkung von Östrogen auf den PLM-Index zeigte sich kein Unterschied zur Plazebogabe.

Zusammenfassung und Bewertung

Es ist festzuhalten, dass die epidemiologischen Daten auf einen hormonbestimmten Geschlechtsunterschied in der subjektiven Schlafqualität hinweisen, was jedoch zumeist nur in der Feinstrukturanalyse des Schlafs oder in experimentellen Ansätzen objektivierbar ist. Hierbei sind verschiedene geschlechtsspezifische pathophysiologische Mechanismen denkbar. Die Untersuchungen zur Wirkung geschlechtsspezifischer Hormone auf den Schlaf zeigten bislang eher geringe Effekte, wobei aber mögliche organische Ursachen einer Schlafstörung nur unzureichend berücksichtigt wurden. Gesichert erscheint nur der positive Effekt einer Hormonersatztherapie (HRT) auf die postmenopausal erhöhte Apnoehäufigkeit, während die häufig gefundene Schlafverbesserung unter Hormonersatztherapie als eine indirekte Folge der gebesserten Gesamtsymptomatik zu werten ist.
Literatur
Antonijevic IA (2004) Geschlechtsspezifische Unterschiede der schlafendokrinen Regulation und deren Bedeutung für die Pathophysiologie der Major Depression. Habilitationsschrift der Alexander-von-Humboldt-Universität Berlin. http://​edoc.​hu-berlin.​de/​habilitationen/​antoijevic-irina-a-2004-06-21/​PDF/​Antonijevic.​pdf. Zugegriffen am 27.01.2024
Jansson C, Johansson S, Lindh-Astrand L et al (2003) The prevalence of symptoms possibly related to the climacteric in pre- and postmenopausal women in Linkoping, Sweden. Maturitas 45:129–135CrossRefPubMed
Netzer NC, Eliasson AH, Strohl KP (2003) Women with sleep apnea have lower levels of sex hormones. Sleep Breath 7:25–29CrossRefPubMed
Rodenbeck A, Hajak G (in Druck) Schlafstörungen (F51). In: Rohde A, Maneros A (Hrsg) Geschlechtsspezifische Psychiatrie und Psychotherapie. Ein Handbuch. Kohlhammer, Stuttgart
Young T, Rabago D, Zgierska A et al (2003) Objective and subjective sleep quality in premenopausal, perimenopausal, and postmenopausal women in the Wisconsin Sleep Cohort Study. Sleep 26:667–672CrossRefPubMed