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Enzyklopädie der Schlafmedizin
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Publiziert am: 18.08.2022

Kopfschmerz

Verfasst von: Svenja Happe
Die gültige Klassifikation der internationalen Fachgesellschaft für Kopfschmerz unterscheidet insgesamt über 100 Kopfschmerzformen. Es bestehen Zusammenhänge zwischen Kopfschmerzen und Schlaf. Bei bestimmten Kopfschmerzformen sind der Schlaf und das Auftreten von Kopfschmerzen so unmittelbar verknüpft, dass sie in der Schlafmedizin als Schlafbezogene Kopfschmerzen klassifiziert werden. Häufig bedingen Schlafstörungen sekundär Kopfschmerzen und umgekehrt können Kopfschmerzen sekundär Schlafstörungen bedingen. Alle drei Gruppen werden in diesem Essay in Übersicht vorgestellt.

Englischer Begriff

headache

Definition

Die gültige Klassifikation der internationalen Fachgesellschaft für Kopfschmerz unterscheidet insgesamt über 100 Kopfschmerzformen (IHS 2019). 95 % der Bevölkerung haben mindestens einmal in ihrem Leben Kopfschmerzen verspürt, die Jahresprävalenz von Kopfschmerzen liegt bei etwa 20 %.
Es bestehen Zusammenhänge zwischen Kopfschmerzen und Schlaf. An einer behandlungsbedürftigen Schlafstörung leiden in Deutschland etwa 15 % aller Erwachsenen, ca. 75 % der Kopfschmerzpatienten berichten von gleichzeitig bestehenden Schlafstörungen. Bei bestimmten Kopfschmerzformen sind der Schlaf und das Auftreten von Kopfschmerzen so unmittelbar verknüpft, dass sie in der Schlafmedizin als „Schlafbezogene Kopfschmerzen“ klassifiziert werden. Häufig bedingen Schlafstörungen sekundär Kopfschmerzen („Kopfschmerzen bei Schlafstörungen“) und umgekehrt können Kopfschmerzen sekundär Schlafstörungen bedingen („Schlafstörungen durch Kopfschmerzen“). Alle drei Gruppen werden im Folgenden in Übersicht vorgestellt, auf weiterführende Einzelessays wird im Text verwiesen.

Grundlagen

Schlaf und Kopfschmerzen sind in unterschiedlicher Art und Weise miteinander verbunden. Eine detaillierte Anamnese der Kopfschmerzen sowie der begleitenden Schlafstörungen ist die Voraussetzung für eine zielgerichtete und effektive Therapie der Beschwerden. Wenn Kopfschmerzen durch Schlafstörungen verursacht sind, steht die Behandlung der Schlafstörung im Vordergrund, wenn Schlafstörungen durch Kopfschmerzen verursacht sind, steht die Behandlung der Kopfschmerzen im Vordergrund.

Schlafbezogene Kopfschmerzen

Vier Formen von Kopfschmerz weisen einen engen Zusammenhang mit dem Schlaf auf. Sie wurden daher unter der Bezeichnung Schlafbezogene Kopfschmerzen in die Internationale Klassifikation der Schlafstörungen aufgenommen und stehen in der „ICSD-3“ in Appendix A „Schlafbezogene körperliche und neurologische Erkrankungen“. Im Einzelnen handelt es sich um die folgenden vier Formen:
  • „Migräne“
  • „Cluster-Kopfschmerz“
  • „Paroxysmale Hemikranie“
  • „Schlafgebundener Kopfschmerz“

Kopfschmerzen bei Schlafstörungen

Kopfschmerzen können regelhaft im Zusammenhang mit bestimmten Schlafstörungen und schlafmedizinischen Erkrankungen auftreten. Als eigenständige Krankheitsentität gehört dazu der „Schlafapnoe-Kopfschmerz“, der bei Obstruktiver Schlafapnoe auftreten kann und 2003 erstmals in die Kopfschmerzklassifikation aufgenommen wurde. Nächtlicher „Bruxismus“ geht in 65 % der Fälle mit regelmäßigen morgendlichen Kopfschmerzen einher. Ferner ist bekannt, dass „periodische Beinbewegungen“, „Insomnie“ und „Albträume“ eine Assoziation mit morgendlichen Kopfschmerzen aufweisen. „Schnarchen“ kann ein unabhängiger Risikofaktor für morgendliche Kopfschmerzen sein. Seltener werden Kopfschmerzen durch Medikamente ausgelöst, die zur Behandlung von Schlafstörungen oder von „Tagesschläfrigkeit“ eingesetzt werden. Unspezifische Kopfschmerzen sind eine der häufigsten unerwünschten Nebenwirkungen unter Modafinil („Stimulanzien“). Umgekehrt können Schlafstörungen durch Kopfschmerzmedikamente ausgelöst werden (siehe „Schläfrigmachende Nebenwirkungen von gebräuchlichen Medikamenten zur Therapie neurologischer Krankheiten“ und „Schlafstörende Nebenwirkungen von gebräuchlichen Medikamenten zur Therapie neurologischer Krankheiten“).
In Tab. 1 werden die vier Formen des Schlafbezogenen Kopfschmerzes und der Schlafapnoe-Kopfschmerz mit ihren Merkmalen synoptisch dargestellt.
Tab. 1
Merkmale der Schlafbezogenen Kopfschmerzen und des Schlafapnoe-Kopfschmerzes
Diagnose
Attackendauer
Begleitsymptome
Besonderheiten
Veränderungen des Schlafs
(ICHD-3: 1)
4–72 Stunden
Übelkeit, Erbrechen, Photo-, Phonophobie
Ohne feste Seitenlokalisation, gehäuft aus dem REM-Schlaf, überwiegend Frauen
Zunahme von REM-Schlaf und REM-Latenz im Intervall, Zunahme von Tiefschlaf nach einer Attacke
Cluster-Kopfschmerz
(ICHD-3: 3.1)
15–180 Minuten, im Mittel zwei Attacken pro Tag
Mindestens eines der autonomen Begleitsymptome konjunktivale Injektion, Lakrimation, Kongestion der Nase, vermehrtes Schwitzen an Stirn und im Gesicht, Rhinorrhö, Miosis, Ptosis und ipsilaterales Lidödem
Streng einseitig, bevorzugtes Auftreten der Attacken nachts, gehäuft aus dem REM-Schlaf, überwiegend sind Männer betroffen
Schlaffragmentierung, Zunahme der Wach-Zeit, Abnahme der Schlafeffizienz, der REM-Schlaffrequenz und der REM-Schlafdauer
(ICHD-3: 3.2.2)
2–30 Minuten, im Mittel 5–10 Attacken pro Tag
Autonome Begleitsymptome wie beim Cluster-Kopfschmerz
Streng einseitig, zu >75 % aus dem Schlaf, meist an REM-Schlaf gebunden (REM sleep locked), überwiegend Frauen, Indometacin wirksam
Schlaffragmentierung, Abnahme von REM-Schlaf- und Gesamtschlafdauer, Zunahme der Arousals im REM-Schlaf
(ICHD-3: 4.9)
15–180 Minuten, wenigstens 15-mal im Monat
Keine autonomen Symptome, nicht mehr als eines der Begleitsymptome Übelkeit, Photo- oder Phonophobie
Meist bilateral, nur aus dem Schlaf heraus auftretend, Manifestation nach dem 50. Lebensjahr, Therapie mit Lithiumcarbonat- oder Koffeingabe zur Nacht meist erfolgreich
Schlaffragmentierung, Abnahme der Schlafeffizienz, fraglich Abnahme der REM-Schlafdauer
Schlafapnoe-Kopfschmerz
(ICHD-3: 10.1.4)
Bis zu 72 Stunden, nach erfolgreicher Behandlung der OSA nicht wiederkehrend
Keine
Beim Aufwachen, bilateral, drückend
Gemäß den Befunden bei Obstruktiver Schlafapnoe
ICHD-3 = International Classification of Headache, 3. Auflage; deutsche Übersetzung 2019; OSA = Obstruktive Schlafapnoe

Schlafstörungen bei Kopfschmerzen

Insomnie in Gestalt von Ein- oder Durchschlafstörungen kann bei Kopfschmerzen durch den Schmerz an sich oder durch die Angst vor einer möglichen neuen Attacke entstehen. Es wird in aller Regel von einer psychogenen Ursache der Schlafstörung ausgegangen.
Zu dieser Gruppe von Kopfschmerzen gehört der „Kopfschmerz vom Spannungstyp“. Ferner verursachen Schmerzen im Bereich des Kopfes wie „Trigeminusneuralgie und orofaziale Schmerzen“ gehäuft Ein- und Durchschlafstörungen.
Literatur
American Academy of Sleep Medicine (2014) International classification of sleep disorders, 3. Aufl. American Academy of Sleep Medicine, Darien
Frese A, Summ O, Evers S (2014) Exploding head syndrome: six new cases and review of the literature. Cephalalgia 34:823–827CrossRef
Happe S, Evers S (2016) Kopfschmerzen und Schlaf. Der Schlaf 5:10–15
Holle D, Naegel S, Obermann M (2013) Hypnic headache. Cephalalgia 33:1349–1357CrossRef
Kopfschmerzklassifizierungskomitee der International Headache Society (2019) Internationale Klassifikation von Kopfschmerzerkrankungen, 3. Aufl. Nervenheilkunde 38:S1–S184
Therapieempfehlungen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft: www.​dmkg.​de