Definition
Diabetes mellitus ist definiert als eine durch den Leitbefund chronische Hyperglykämie charakterisierte Regulationsstörung des Stoffwechsels. Es liegt entweder eine gestörte Insulinsekretion oder eine verminderte Insulinwirkung oder auch beides zugrunde. Die chronische Hyperglykämie führt über die Diabetes-spezifische Mikroangiopathie zu Folgeerkrankungen, vorwiegend an Augen, Nieren und Nervensystem. Über die Diabetes-assoziierte Makroangiopathie entstehen Folge- beziehungsweise Begleiterkrankungen vorwiegend an Herz, Gehirn, Nerven und den peripheren Arterien. Bei Diabetikern mit „Polyneuropathien“ (
PNP) wird im Vergleich zu Diabetikern ohne PNP gehäuft eine Assoziation mit Obstruktiver Schlafapnoe (OSA; siehe „Obstruktive Schlafapnoe“) gefunden. Der Begriff des
Metabolischen Syndroms beschreibt das gemeinsame Auftreten von Glukoseintoleranz oder
Typ-2-Diabetes mit einer abdominellen
Adipositas und/oder Dyslipoproteinämie und einer essenziellen
arteriellen Hypertonie. Weitere Facetten des Metabolischen Syndroms sind Hyperurikämie, gegebenenfalls auch
Gicht, gestörte Fibrinolyse,
Hyperandrogenämie bei Frauen und Obstruktive Schlafapnoe. „Hypersomnie“ bei Diabetikern kann die Folge der obstruktiven Atmungsstörung sein. Weiterhin können eine Reihe von Diabetes-assoziierten Funktionsstörungen und Erkrankungen die Erholsamkeit des Nachtschlafs beeinträchtigen.
Epidemiologie und Risikofaktoren
Die
Prävalenz des
Diabetes mellitus in Deutschland steigt mit zunehmendem Lebensalter an. Daten aus der ehemaligen DDR (1987) ergeben in der Altersgruppe der 65- bis 69-Jährigen eine Häufigkeit des Diabetes von 14,0 % bei Männern und 16,2 % bei Frauen. Am häufigsten kommt der Diabetes mellitus im 75.–79. Lebensjahr vor: 15,6 % bei Männern und 20,5 % bei Frauen gemäß WHO-Kriterien von 1985. Mit weiter ansteigendem Alter sinkt die Diabetes-Prävalenz wieder ab. Der Anteil bei den über 95-Jährigen beträgt 5,07 % (Männer) und 6,02 % (Frauen). Die 12-Monats-Prävalenz des Diabetes mellitus wurde in der Studie GEDA 2014/2015-EHIS durch Selbstangabe der Befragten bei den über 65-Jährigen mit 21,1 % bei Männern und 17,6 % bei Frauen beziffert. Daten aus Süddeutschland aus dem Jahr 2000 zeigen eine Diabetes-Prävalenz im 70.–74. Lebensjahr von 23,1 % bei Männern und 17,0 % bei Frauen nach den WHO-Kriterien von 1999 (Rathmann et al.
2003).
Schon 1994 wurde gezeigt, dass ungefähr jeder dritte Patient mit
Diabetes mellitus unter
Schlafstörungen leidet, während es in der Kontrollgruppe nur jeder zehnte war. Alter und Übergewicht sind unabhängige Faktoren, die mit Obstruktiver Schlafapnoe einhergehen. Für Diabetes konnte dies bis heute nicht zweifelsfrei belegt werden. Ein epidemiologischer Zusammenhang zwischen Obstruktiver Schlafapnoe und autonomer
diabetischer Neuropathie konnte jedoch bereits Anfang der 1980er-Jahre in mehreren kleineren Studien gezeigt werden. Diese Studien ließen jedoch keine Aussage über eine mögliche Kausalität zu. Insbesondere wurde Übergewicht, das sowohl zum Diabetes mellitus als auch zur Obstruktiven Schlafapnoe prädisponiert, in den Untersuchungen nicht ausreichend berücksichtigt. Ficker et al. konnten 1998 an einer größeren Population von Diabetikern mit autonomer Neuropathie zeigen, dass Obstruktive Schlafapnoe bei ca. 26 % der Patienten mit Diabetes und autonomer Neuropathie zu beobachten war. Dabei waren schwergradige Sauerstoffentsättigungen in allen Untersuchungen selten, während die Formen der Obstruktiven Schlafapnoe mit eher niedrigem Apnoeindex, aber mit ausgeprägter
Hypersomnie dominierten (Ficker et al.
1998).
Eine epidemiologische Studie aus dem Jahr 2003 zeigte, dass Menschen mit
Diabetes gehäuft zentrale Atemregulationsstörungen und eine
Cheyne-Stokes-Atmung aufweisen.
Pathophysiologie
Bis heute sind die zugrunde liegenden Mechanismen für den Zusammenhang zwischen
schlafbezogenen Atmungsstörungen,
arterieller Hypertonie, Alter und
Diabetes mellitus nicht vollständig aufgeklärt. Insbesondere kann der Effekt der
Adipositas als prädisponierender Faktor für OSA und Diabetes ist in seiner pathophysiologischen Bedeutung nicht präzise beschrieben werden. In den letzten Jahren verdichten sich Hinweise, dass Störungen des autonomen Nervensystems, insbesondere die veränderte Kontrolle der Sympathikusaktivität eine wesentliche Rolle für das Auftreten von OSA bei Menschen mit Diabetes spielen.
Zum Zusammenhang zwischen
Diabetischer autonomer Neuropathie (DAN) und OSA wird vermutet, dass neben der Schädigung zentralnervöser Strukturen auch Störungen der Parasympathikusaktivität in den Bereichen von
Nervus vagus und
Nervus glossopharyngeus dabei eine Rolle spielen. Beide Hirnnerven sind an der Offenhaltung der oberen Atemwege während der Inspiration und bei der Regulation der
Atmung beteiligt. Sie innervieren beispielsweise große Teile der Zungengrundmuskulatur, sogenannte Schlundschnürer wie Musculus constrictor pharyngis superior und medius inferior und die Schlundheber Musculus palatopharyngeus und stylopharyngeus. Die Steuerung der Muskelspannung erfolgt wesentlich über Propriozeptoren, die in den Muskelspindeln lokalisiert sind und auf Dehnungsreize reagieren. Über eine zentralnervös geregelte Vordehnung hat die Arbeitsmuskulatur eine optimale Spannung, um auf die motorische Innervation durch die Vorderhornzellen als Efferenzen der Willkürmotorik zu reagieren. Werden die zu den Muskelspindeln führenden empfindlichen efferenten Fasern durch eine
Polyneuropathie geschädigt, sinkt der Tonus der betroffenen Skelettmukulatur. Eine gestörte Innervation der Muskulatur des „Pharynx“ kann im Schlaf zur Erschlaffung und zum Kollaps der Zungengrund- und Schlundhebermuskulatur mit
Obstruktion der oberen Atemwege führen („Schnarchen“). Mehrere Studien haben gezeigt, dass die
Atmungsantwort auf
Hypoxämie bei Diabetikern, insbesondere bei solchen mit autonomer Neuropathie, reduziert ist. Hierfür wird die Schädigung der autonomen parasympathischen Fasern verantwortlich gemacht, welche die Chemorezeptoren in der Arteria carotis innervieren. Siehe auch „Autonomes Nervensystem“.
Einige Menschen mit
Diabetes weisen eine verzögerte Reaktion auf Hypoxiereize auf, was eine Erklärung für tiefere Entsättigungen bei OSA sein könnte. Dabei kommt dem Glomus caroticum vermutlich eine zentrale Rolle zu. Es handelt sich um ein pluripotentes Paraganglion, das in seiner Funktion als Chemorezeptor sowohl auf
Hypoxie als auf
Hypoglykämie reagiert. Hyperglykämie führt kurzfristig zu einer „down regulation“ des Rezeptors, langfristig zu einer Degeneration des Rezeptorgewebes, am wahrscheinlichsten durch mikroangiopathische Schädigung. Dieser Prozess könnte die verzögerte Antwort auf Hypoxiereize des Glomus sowohl im Rahmen des Diabetes als auch im Rahmen der Schlafapnoe erklären.
Bei Patienten mit Obstruktiver Schlafapnoe findet sich gehäuft eine
Insulinresistenz. Diese wird zumindest teilweise durch einen erhöhten Sympathikotonus verursacht, der durch nächtliche
Hypoxie und konsekutive
Arousals induziert ist. OSA kann eine bereits vorhandene sympathische Dysregulation bei Patienten mit Metabolischem Syndrom verschlechtern. Es wird daher vermutet, dass die Schlafapnoe selber ein eigenständiger Risikofaktor für die Entstehung des
Diabetes mellitus ist und dass eine nasale Ventilationstherapie mit Continuous Positive Airway Pressure („CPAP“) die Insulinsensitivität des Körpers verbessern kann. Hierbei ist es bisher nicht möglich zu unterscheiden, ob die Verbesserung der Insulinsensitivität aus der Reduktion nächtlicher sympathischer Aktivität oder durch die Beeinflussung konkomitierender Faktoren wie Gewichtsreduktion resultiert. Es konnte gezeigt werden, dass es bei Menschen mit Diabetes, hohem kardiovaskulären Risiko und Obstruktiver Schlafapnoe durch Einsatz einer CPAP-Therapie zum Abfall serologischer Mediatoren wie
Interleukin 6, Interleukin 8 und
CRP kommt. Weitere proinflammatorische Mediatoren wie
Leptin,
TNF-α und Interleukin-1-β sowie
Sauerstoffradikale sind ohne Therapie erhöht. Es gilt somit heute als sicher, dass die Obstruktive Schlafapnoe ähnlich wie der Diabetes mellitus Typ 2 ein Risikofaktor für die Entstehung der
Arteriosklerose ist und eine CPAP-Therapie auch dieses Risiko zu reduzieren vermag. Siehe auch „Atherosklerose und Obstruktive Schlafapnoe“; „Endotheliale Dysfunktion“.
Inwieweit Insulinresistenz,
Adipositas oder hormonelle Störungen oder Störungen auf Zytokinebene als gemeinsame pathogenetische Grundlage von Obstruktiver Schlafapnoe und
Diabetes mellitus anzusehen sind, ist noch ungeklärt. Die meisten Studien zeigen, dass rezidivierende toxische Zustände die Glukosehomöostase stören können. Auch eine Verkürzung des Schlafs sowie wiederkehrende Unterbrechungen des Schlafs können einen Einfluss auf die Glukoseregulation haben. Es findet sich somit eine cross-sektionale Assoziation zwischen Obstruktiver Schlafapnoe und
Metabolischem Syndrom, die unabhängig von einer begleitenden Adipositas ist. Bis heute ist noch keine klare Aussage zur Kausalität von Metabolischem Syndrom und Schlafapnoe möglich. Siehe auch „Kardiovaskuläre Folgen der Obstruktiven Schlafapnoe“.
Experimentelle Daten aus Tierversuchen und Studien an Menschen weisen darauf hin, dass rezidivierende toxische Zustände die Glukosehomöostase stören können. Auch eine Verkürzung des Schlafs sowie wiederkehrende Unterbrechungen des Schlafs können einen Einfluss auf die Glukoseregulation haben. Ein physiologischer Anstieg der Plasmaglukose und der Insulinkonzentration findet sich typischerweise in den frühen Morgenstunden zwischen 5 und 9 Uhr. (
Dawn-Phänomen). Epidemiologische Daten zeigen eine Assoziation zwischen selbst beobachteter kurzer Schlafzeit (<6 Stunden/Tag) und dem Auftreten von
Diabetes mellitus. In 2 Metaanalysen aus den Jahren 2010 und 2013 wurde ein relativer Risikoanstieg für die Entwicklung eines Diabetes mellitus von 30 % gezeigt. Chronischer
Schlafentzug führt zu einem Anstieg der Insulinresistenz. Es wird vermutet, dass eine Aktivierung des sympathischen Nervensystems und der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (Stressachse) die beobachteten Veränderungen erklären könnte. Auch wird ein Zusammenhang zu den Hormonen
Leptin und
Ghrelin vermutet, die bei künstlichem Schlafentzug vermindert (Leptin) oder vermehrt (Ghrelin) ausgeschüttet werden. Dies hat vermutlich Einfluss auf das Sättigungsgefühl und führt zu einer Steigerung des Appetits und führte in Studien zu unregelmäßigen Essgewohnheiten. Auch gibt es Daten, die zeigen, dass Schlafentzug die Insulinantwort auf Glukosebelastung reduziert und mit erhöhten proinflammatorischen Zytokinspiegeln einhergeht.
Symptomatik
Schlafbezogene „Beschwerden und Symptome“ wie
Insomnie und
Hypersomnie sind bei Diabetikern häufig anzutreffen. So ist bekannt, dass Diabetiker häufiger Schlafmittel einnehmen als nichtdiabetische Kontrollpersonen. Die Ursachen für Insomnie sind zahlreich und insbesondere bei älteren Patienten häufig in deren Multimorbidität begründet. Infrage kommen insbesondere chronische
Schmerzen (siehe „Schmerz“), „Affektive Störungen“, „Schlafbezogene Beinmuskelkrämpfe“, Symptome einer
Polyneuropathie (siehe „Polyneuropathien“), „Gastroösophagealer Reflux“ und Diabetes-assoziierte
Obstipation oder Diarrhoe. Mit zu den häufigsten schlafstörenden Ursachen gehören Nykturie und nächtliche Polyurie infolge Diabetes-assoziierter Erkrankungen wie
Herzinsuffizienz,
Hypertonie,
Niereninsuffizienz, einer diabetogenen Blase oder einer Obstruktiven Schlafapnoe. Umgekehrt kann gestörter Schlaf körperlichen und geistigen Abbau begünstigen sowie Stimmungsschwankungen bis hin zu
Angststörungen und Depression zur Folge haben (Hader et al.
2004). Die Bedeutung von
Hypoglykämien auf den Schlaf des älteren Diabetikers wird in der Regel überschätzt. Während leichte Hypoglykämien wenig Einfluss auf die Schlafarchitektur zeigen, können allerdings schnelle Änderungen des Blutzuckerspiegels sogar unabhängig von der Höhe der Blutglukose zum Erwachen führen. Hypersomnie ist bei Diabetikern zum einen Folge des nicht erholsamen Schlafs durch die oben beschriebenen
Schlafstörungen, andere häufige Ursachen hierfür sind auch komorbide
schlafmedizinische Erkrankungen wie Obstruktive Schlafapnoe,
Restless-Legs-Syndrom (RLS) und periodische Extremitätenbewegungen im Schlaf (PLMS), insbesondere bei langjährigen Diabetikern mit Polyneuropathie.
Prognose
Die Lebenserwartung von Patienten mit Typ-1- und
Typ-2-Diabetes ist vermindert, auch wenn der
Diabetes mellitus erst nach dem 60. Lebensjahr festgestellt wurde. Dabei liegt die altersstandardisierte
Mortalitätsrate für Männer höher als für Frauen. Todesursache sind im Wesentlichen die Koronare Herzkrankheit und zerebrovaskuläre Erkrankungen. Diabetiker mit autonomer
Polyneuropathie weisen innerhalb der Diabetiker eine erhöhte Mortalität auf, häufig durch nächtliche Todesfälle. Da Diabetiker mit
PNP gehäuft an Obstruktiver Schlafapnoe erkranken, dürfte eine adäquate Diagnostik und Therapie deren Prognose verbessern.