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Die Urologie
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Publiziert am: 23.02.2022

Inzidentalom

Verfasst von: Paolo Fornara und Felix Kawan
Nebennierentumore werden häufig zufällig im Rahmen einer abdominellen Bildgebung entdeckt und als Inzidentalome bezeichnet. Die Herausforderung in der Diagnostik besteht darin zwischen behandlungsbedürftigen endokrin-aktiven oder sogar malignen Tumoren und Adenomen ohne Therapienotwendigkeit zu unterscheiden. Hormonproduzierende Tumoren sollten, sofern technisch möglich, minimal-invasiv laparoskopisch (Roboter-assistiert) entfernt werden.

Definition und Epidemiologie

Inzidentalome sind zufällig diagnostizierte Raumforderungen der Nebennieren, die im Rahmen einer abdominellen Bildgebung gefunden werden und zählen zu den häufigsten Tumoren beim Menschen überhaupt. Im Erwachsenenalter liegt die Prävalenz bei etwa drei Prozent und kann altersabhängig ab dem 80. Lebensjahr auf bis zu zehn Prozent ansteigen. Häufig sind Inzidentalome kleiner als zwei Zentimeter. Ziel aller weiteren diagnostischen Schritte muss die Abklärung, der zu Grunde liegenden Ursache sein. In 80 % aller zufällig detektierten Nebennierenraumforderungen liegen endokrin-inaktive benigne Adenome vor ohne die Notwendigkeit einer spezifischen Behandlung. Die übrigen 20 % sind in der Regel behandlungsbedürftige Nebennierentumore, wie Phäochromozytome, Hormone-produzierende Nebennierenadenome (Cushing- oder Conn-Adenome), Metastasen oder sogar Nebennierenkarzinome. Durch die ubiquitär verfügbaren diagnostischen Möglichkeiten (CT, MRT und PET-CT) hat sich die Früherkennung grundlegend verbessert.

Klinik und Symptomatik

Inzidentalome finden sich gehäuft bei älteren Patienten mit Diabetes mellitus, Adipositas und arterieller Hypertonie und weisen in bis zu 25 % der Fälle das subklinische Bild eines Cushing-Syndrom auf (Terzolo et al. 2005).

Diagnostik und Therapie

Die Herausforderung in der Diagnostik eines Inzidentaloms besteht darin, nicht nur einen malignen Prozess, sondern auch einen endokrin-aktiven Tumor auszuschließen. Bei allen Patienten mit einem Inzidentalom sollte neben Anamnese und körperlicher Untersuchung eine endokrinologische Abklärung mit einem Dexametason-Hemmtest und die Bestimmung der Metanephrine in Plasma und 24-Stunden-Sammelurin vorgenommen werden (Ausschluss eines Cushing-Syndroms bzw. eines Phäochromozytoms). Liegt gleichzeitig eine arterielle Hypertonie vor, sollte anhand des zu ermittelnden Aldosteron-Renin-Quotienten ein primärer Hyperaldosteronismus ausgeschlossen werden. Bei der körperlichen Untersuchung ist besonders auf Zeichen eines klinisch manifesten Cushing-Syndroms zu achten, z. B. Pergamenthaut, Striae rubrae, stammbetonte Adipositas, proximale Myopathie).
Zur bildgebenden Diagnostik von Nebennierenraumforderungen stehen Computer- und Magnetresonanztomografie zur Verfügung.
In der nativen Computertomografie liefern Dichtewerte von <10 Hounsfield-Einheiten vor Kontrastmittelgabe und ein Kontrastmittel-Washout von >60 % Hinweise für ein Nebennierenadenom (Spezifität 92 %, Sensitivität 98 %; Caoili et al. 2002). Kleine Tumoren (>1 cm im Durchmesser) sind selten endokrin aktiv. Sofern CT-morphologisch eine homogene Binnenstruktur vorliegt und die Läsion <4 cm ist, wird ein gutartiger Tumor angenommen und keine weitere Bildgebung empfohlen. Liegen die Hounsfield-Einheiten über zehn sollte die Diagnostik erweitert werden. Hierzu stehen Kontrastmittel-Computertomografie (Wash-out nach 15 Minuten), Kernspintomografie („chemical-shift“-Analyse) sowie die Kombination aus Positronenemissionstomografie und Computertomografie unter Einsatz von 18-Flourdesoxyglukose (FDG) zur Verfügung, wobei die momentane Datenlage keine Präferenz eines Verfahrens ermöglicht. Mit zunehmender Tumorgröße nimmt die Wahrscheinlichkeit für ein Malignom zu und beträgt bei einem Durchmesser >6 cm etwa 25 %. Tumoren bis 4 cm Größe sind lediglich in 2 % der Fälle maligne.
Die häufigsten Nebennierenraumforderungen sind Zysten, Lipome, Adenome, Karzinome, Ganglioneurome, Hämangiome, Pseudozysten und Myelolipome.
Eine Biopsie von Nebennierenraumforderungen wird nicht empfohlen, da nicht ausreichend sicher zwischen Adenom und Karzinom differenziert werden kann.
Eine Ausnahme kann die Abklärung von Metastasen sein, sofern das weitere therapeutische Vorgehen davon abhängt. Zur endgültigen Sicherung vor einer Operation ist der Ausschluss einer endokrinologischen Aktivität obligat.
Cave
Vor jeder Punktion einer Nebennierenraumforderung muss biochemisch ein Phäochromozytom ausgeschlossen werden, da es während einer Operation zu letalen Komplikationen kommen kann.
Das National Institute of Health (NIH) empfiehlt zur Diagnostik und Therapie von Inzidentalomen folgende Richtlinien (siehe Abb. 1; Grumbach et al. 2003).
Grundsätzlich sollten hormonaktive Tumoren unabhängig von der Größe entfernt werden. Bis zu einer Größe von sechs Zentimetern werden minimalinvasive Verfahren (konventionell laparoskopisch oder besser roboter-assistiert) bevorzugt. Ergeben sich Hinweise auf eine Lokalinvasion wird eine offene Operation empfohlen. Ab einer Größe von sechs Zentimeter ohne Umgebungsinfiltration sollte minimal-invasive operiert werden. Bei größeren lokal-begrenzten Tumoren sollte – unabhängig von der Dignität – die operative Erfahrung des Operateurs für die Anwendung der Laparoskopie ausschlaggebend sein.
Größere Tumore sollten offen-chirurgisch entfernt werden.
In der Nachsorge wird nach der Entfernung von benignen Tumoren bis vier Zentimeter keine weitere Bildgebung empfohlen. Bei unklaren Befunden >4 cm ist nach 6–12 Monaten eine Kontrollbildgebung mittels CT oder MRT indiziert. Im Falle eines Tumorwachstums um ca. 20 % oder einer Größenzunahme auf mindestens 5 cm wird eine Operation empfohlen. Eine Ausnahme stellt das, in der CT gut abgrenzbare Myelolipom der Nebenniere dar, welches bis 10 Zentimeter Größe keiner Operation bedarf.

Zusammenfassung

  • Inzidentalome sind zufällig in der abdominellen Bildgebung diagnostizierte Nebennieren-Raumforderungen.
  • Risikofaktoren Diabetes mellitus, Adipositas und Hypertonie
  • Ausschluss eines hormonproduzierenden Tumors
  • Bis 4 cm Größe bildgebende Verlaufskontrollen
  • Bei Größenzunahme besteht besonders ab 4 cm ein Malignitätsverdacht
  • Adrenalektomie ab einer Größe von 4 cm, wenn möglich minimalinvasiv-robotisch oder laparoskopisch
Literatur
Caoili EM, Korobkin M, Francis IR, Cohan RH, Platt JF, Dunnick NR, Raghupathi KI (2002) Adrenal masses: characterization with combined unenhanced and delayed CT. Radiology 222:629–633CrossRef
Grumbach MM, Biller BM, Braunstein GD, Campbell KK, Carney JA, Godley PA, Harris EL, Lee JK, Oertel YC, Posner MC, Schlechte JA, Wieand HS (2003) Management of the clinically inapparent adrenal mass („incidentaloma“). Ann Intern Med 138:424–429CrossRef
Siewert JR, Rothmund M, Schumpelick V (2007) Praxis der Viszeralchirurgie. Endokrine Chirurgie, 2. Aufl. Springer, Heidelberg
Terzolo M, Bovio S, Reimondo G, Pia A, Osella G, Borretta G, Angeli A (2005) Subclinical Cushing’s syndrome in adrenal incidentalomas. Endocrinol Metab Clin North Am 34(2):423–439
Weiterführende Literatur
Copeland PM (1999) The incidentally discovered adrenal mass: an update. Endocrinologist 9:415–423
Kley HK, Wagner H, Jaresch S, Jungbluth R, Schlaghecke R (1990) Endokrin inactive Nebennierentumoren. In: Allolio B, Schulte HM (Hrsg) Moderne Diagnostik und therapeutische Strategien bei Ne-bennierenerkrankungen. Schattauer, Stuttgart, S 216–222