Testosteronsubstitution
Wenn klinische Symptome eines latenten oder manifesten Testosteronmangel vorliegen und der morgendliche Serumtestosteronspiegel unter den für jüngere Männer geltenden Normwert von 12,0 nmol/l gefallen ist, sollte eine
Testosteronsubstitution in Betracht gezogen werden. Die Substitution erfolgt entsprechend den internationalen Empfehlungen (Wang et al.
2008) und nach den Prinzipien und in den Dosierungen, die in Kap. 36 angegeben werden.
In Analogie zu dem Terminus „Late onset Diabetes“ wurde der Begriff „
Late onset Hypogonadismus“ für den altersabhängigen Testosteronabfall, hervorgerufen durch eine
Kombination eines primären und sekundären Hypogonadismus, entwickelt (Zitzmann und Nieschlag
2003). Dieser Begriff wurde von den meisten
andrologischen und urologischen Fachgesellschaften in ihren Leitlinien übernommen, auch die Empfehlungen zur Behandlung mit Testosteronpräparaten wurden weitgehend übernommen. Unklarheiten gab es nur über den Grenzwert, ab welchem eine
Androgensubstitution bei entsprechenden klinischen Symptomen indiziert sei (Nieschlag
2019). Nach Etablierung der transdermalen Testosterontherapie hat insbesondere in den USA bei älteren Männern die Verordnung von Testostronpräparaten massiv zugenommen. So hat sich von 2002 bis 2013 die Zahl der testosteronbehandelten Männer verfünffacht (Baillargeon et al.
2018). In den meisten Fällen gaben die Ärzte als Grund für die Verordnung eine „testikuläre Hypofunktion“ an. Analysen der Abrechnungsdaten zeigen, dass bei einem Drittel der Patienten der Testosteronspiegel gar nicht bestimmt wurde (Nieschlag
2019).
2014 hat die US-Arzneibehörde FDA wegen dieser zunehmend unkritischen Verordnungen von Testosteronpräparaten an ältere Männer die Fachinformationen verschärft (FDA
2015). Die Hersteller müssen seitdem ausdrücklich auf mögliche
kardiale Risiken hinweisen. Die Präparate sind nur zur Behandlung von Patienten zugelassen, bei denen eine Funktionsstörung in Hoden, Hypophyse oder Gehirn als Ursache des
Hypogonadismus nachgewiesen wurden. Die überwiegende Zahl der Verordnungen erfolge somit „off-label“.
Die Bedenken der FDA betreffen vor allem die Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System. Es wurden fünf retrospektive Beobachtungsstudien und zwei Meta-Analysen berücksichtigt.
Die Ergebnisse waren alles andere als eindeutig. In zwei retrospektiven Beobachtungsstudien war die Testosteronbehandlung mit einem Anstieg an Herz-Kreislauf-Erkrankungen assoziiert. In einer Studie zeigte sich ein signifikanter Anstieg der Rate von Herzinfarkt,
Schlaganfall und Tod (Vigen et al.
2014). In der anderen Studie kam es bereits in den 90 Tagen nach der Erstverordnung zu einem deutlichen Anstieg von nichttödlichen Herzinfarkten bei älteren Männern und auch bei jüngeren Männern mit vorbekannten Herzkrankheiten (Finkle et al.
2014). In den anderen retrospektiven Studien zeigte sich kein ungünstiger oder kein Einfluss einer Testosterontherapie auf die untersuchten kardiovaskulären Endpunkte (Baillargeon et al.
2014; Muraleedharan et al.
2013; Shores et al.
2012).
In einer Meta-Analyse mit 27 randomisierten, placebokontrollierten Studien mit 2.994 Patienten mittleren und höheren Alters wurde festgestellt, dass die Testosterontherapie mit einem erhöhten Risiko für unerwünschte kardiovaskuläre Ereignisse verbunden war (
Odds Ratio [OR] = 1,5, 95 % CI: 1,1–2,1) (Xu et al.
2013). Dieses Ergebnis konnte in neueren Meta-Analysen zum Teil mit der gleichen Datengrundlage, jedoch ergänzt mit aktuelleren Studien nicht bestätigt werden (Corona et al.
2018; Alexander et al.
2017). Eine von der Europäischen Arzneimittelagentur durchgeführte unabhängige Überprüfung ergab ebenfalls
keine konsistenten Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für koronare Herzkrankheiten im Zusammenhang mit der Testosteronbehandlung hypogonadaler Männer (Bhasin et al.
2022).
Die
Europäische Akademie für Andrologie (EAA) hat 2020, im Gegensatz zu der amerikanischen Fachgesellschaft, ihre Leitlinie geändert und das Behandlungskonzept des late-onset
Hypogonadismus mit einer Testosterontherapie bei entsprechender Klinik und erniedrigten Testostertonspiegeln hinterfragt. Es wurde der Terminus
funktioneller Hypogonadismus gewählt, um einen sekundär durch Komorbiditäten verursachen Testosteronmangel zu definieren (Corona et al.
2020). Primär sollte die Grunderkrankung behandelt werden. Durch eine Testosterontherapie kann zwar die allgemeine sexuelle Leistungsfähigkeit und insbesondere die Libido bei Männern mit Hypogonadismus zuverlässig verbessert werden, jedoch sei der langfristige klinische Nutzen und die Sicherheit einer Testosterontherapie bei funktionellem Hypogonadismus nicht belegt. Eine Testosterontherapie zur Behandlung chronischer Erkrankungen, wie den Erkrankungen des metabolischen Syndroms, einer
Osteoporose oder einer Depression wird nicht empfohlen.
Insgesamt ist die Studienlage bezüglich einer Testosterontherapie bei älteren Männern mit funktionellem Hypogonadismus/Late onset Hypogonadismus und Begleiterkrankungen nicht eindeutig.
Testosteron reguliert maßgeblich die sexuelle Funktion, insbesondere die Libido und in geringerem Maße die erektile Funktion. Es ist eindeutig belegt, dass Testosteron im Vergleich zu Placebo das sexuelle Interesse und die sexuelle Aktivität – vom Flirt bis zum Geschlechtsverkehr – bei hypogonadalen Männern mit Testosteron < 9,4 nmol/L (<270 ng/dL) in bescheidenem Maße steigert (Corona et al.
2020). Darüber hinaus stand die Größe des Effekts in umgekehrtem Verhältnis zu den T-Grundkonzentrationen und zwar proportional zum Anstieg der T-Konzentrationen während der Studie. Es wurden stärkere Auswirkungen auf die Libido und die sexuelle Aktivität als auf die erektile Funktion beobachtet. Diese Daten stehen im Einklang mit den jüngsten Meta-Analysen zur sexuellen Funktion, die ebenfalls zeigten, dass eine Testosterontherapie wirksam ist, wenn der Testosteron-Wert <10,4 nmol/L (<300 ng/dL) 50 oder 12 nmol/L (350 ng/dL) ist, und unwirksam bei Männern mit einem T-Wert > 12 nmol/L (>350 ng/dL). Darüber hinaus war die Wirksamkeit der Testosterontherapie auf die erektile Funktion bei Männern mit schwerem
Hypogonadismus (T < 8 nmol/L oder 231 ng/dL) höher und bei Männern mit
Diabetes mellitus Typ 2 und
Adipositas geringer (Corona et al.
2020).
Bei Männern mit einem
Diabetes mellitus Typ 2 konnte in einer placebo-kontrollierten Studie mit intramuskulär injiziertem
Testosteron eine signifikante Besserung der Insulinresistenz und der glykämischen Kontrolle sowie eine Abnahme des viszeralen Fettanteils und eine Minderung der Dyslipidämie dargestellt werden (Kapoor et al.
2006). Dies wird durch Langzeitbeobachtungen von hypogonadalen Männern, die über mehrere Jahre Testosteronundekanoat als intramuskuläres, lang wirksames Depot erhielten, unterstützt: Fettstoffwechsel und Blutdruckprofile zeigten signifikante Änderungen in Richtung einer Normalisierung des Metabolismus (Zitzmann und Nieschlag
2007).
In der Regel nehmen die
Muskelmasse und die Muskelkraft beim alternden Manne ab. Bei hypogonadalen jungen Patienten ist normalerweise ebenfalls eine reduzierte Muskelkraft gegeben, die durch eine
Testosteronsubstitution gebessert werden kann. Auch bei älteren Männern unter Testosteronsubstitutionstherapie konnte eine Verbesserung der Muskelmasse bei einer Abnahme der abdominellen Fettmasse festgestellt werden (Verbesserung des
lean body mass Index) (Allan et al.
2008). Bei gesunden Probanden wird mit zunehmendem Alter ein Anstieg von Körpergewicht und prozentualem Fettanteil gemessen, der mit dem Abfall des Testosteronspiegels korreliert. Dagegen wird bei hypogonadalen Patienten unter adäquater Testosterontherapie, bei denen somit kein altersabhängiger Abfall der Testosteronserumspiegel stattfindet, keine Änderung von Körpergewicht und prozentualem Fettgehalt gemessen (Rolf et al.
2002b). Wie bereits erwähnt, findet bei Männern mit einem
Diabetes mellitus Typ 2 unter
Testosteron nicht nur eine Besserung der Diabeteseinstellung, sondern auch eine Abnahme des viszeralen Fettanteils und eine Minderung der Dyslipidämie statt (Kapoor et al.
2006).
Erste Ergebnisse der Testosteronsubstitutionstherapie bei orthopädischen Patienten mit
Knieprothesen erbrachten ermutigende Resultate. Bei Autoimmunerkrankungen haben
Androgene möglicherweise eine protektive Rolle. Die Inzidenz für die meisten Autoimmunerkrankungen ist auch bei älteren Menschen erhöht, bei Frauen und auch bei hypogonadalen Männern ist sie gleichfalls deutlich höher als bei gesunden Männern. (Baillargeon et al.
2016). Im Rahmen der Diagnose und Therapie sowohl der senilen als auch der sekundären
Osteoporose in Verbindung mit anderen Erkrankungen sind Änderungen der Androgenspiegel zu berücksichtigen und bei entsprechend pathologischen Werten ist ein Therapieversuch mit Androgenen zu erwägen (Francis
1999). So konnte bei Patienten mit
Osteoporose bei chronisch
obstruktiven Lungenerkrankungen unter Cortisoltherapie durch eine Testosterontherapie eine deutliche Verbesserung der Knochendichte erzielt werden (Reid et al.
1996).
In einer ersten großen plazebokontrollierten Studie über 36 Monate führte die transdermale
Testosteronsubstitution älterer Männer zu einer Zunahme der Muskelmasse sowie der Knochendichte (Snyder et al.
1999a,
b). Die Probanden berichteten über eine subjektive Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit. Eine deutliche Zunahme der Knochendichte konnte insbesondere bei älteren Männern mit erniedrigten basalen Testosteronspiegeln gemessen werden, während bei Patienten mit normwertigen Testosteronspiegeln vor Therapiebeginn nur ein marginaler Zuwachs der Knochendichte festzustellen war. Belege, dass durch eine Testosterontherapie das Frakturrisiko reduziert wird sind bisher nicht publiziert.
Zum jetzigen Zeitpunkt kann langfristige Testosteronsubstitutionstherapie zur Osteoporoseprophylaxe bei einem alleinigen isolierten niedrigen Testosteronsrumspiegel ohne weitere klinische Androgenmangelsymptomatik und ohne weitere Beschwerden nicht empfohlen werden.
Es ist offensichtlich, dass
Hypogonadismus negative Auswirkungen auf die
Lebensqualität und die
Stimmung haben kann. Die
Testosteronsubstitution wird als Mittel zur Verbesserung dieser Parameter angesehen (Zitzmann
2020). Wenn diese psychologischen Symptome jedoch die einzigen Probleme des Patienten sind, wird der Einsatz von
Testosteron zur Verbesserung der
Lebensqualität und der Stimmung bei Männern mit Hypogonadismus derzeit nicht dringend empfohlen. Studien zur Testosteronsubstitution und depressiv gefärbter Stimmungslage bestätigen die epidemiologischen Querschnittsuntersuchungen: 22 hypogonadale depressive Männer wurden mit Testosterongel oder Placebo behandelt. Die vorbestehende antidepressive Behandlung wurde weitergeführt. Die Männer, die Testosteron erhielten, hatten signifikant ausgeprägtere
Verbesserungen der depressiven Symptomatik in der Hamilton-Depression-Rating-Scale als diejenigen Männer, die Placebo erhielten (Pope et al.
2003).
Eine große, nicht-kontrollierte Studie mit Testosterongel als Substitutionsmittel zeigte bei einem größeren Kollektiv hypogonadaler älterer Männer eine deutliche
Besserung der Stimmungslage, wie anhand verschiedener psychometrischer Skalen gezeigt werden konnte (Wang et al.
1996).
Bislang gibt es keine randomisierten Studien, die groß genug oder von ausreichend langer Dauer sind, um die Auswirkungen einer Testosteronbehandlung auf die Häufigkeit von MACE (major adverse cardiac event) zu bestimmen. Die Häufigkeit von MACE, die in randomisierten Testosteronstudien berichtet wurde, war gering – sogar geringer als angesichts des Alters und der Begleiterkrankungen der Teilnehmer zu erwarten war (Bhasin et al.
2022). Eine randomisierte Studie mit
Testosteron bei älteren Männern (The TOM Trial) mit Mobilitätseinschränkungen wurde vorzeitig abgebrochen, da bei den Männern, die Testosteron erhielten, häufiger kardiovaskuläre Ereignisse auftraten als bei den Männern, die Placebo erhielten (Basaria et al.
2010), was die Besorgnis über die kardiovaskuläre Sicherheit von Testosteron bei gebrechlichen älteren Männern verstärkte. Im Gegensatz zu vielen anderen Testosteronstudien bei älteren Männern, an denen relativ gesunde ältere Männer teilnahmen, wiesen die Teilnehmer an der TOM-Studie eine hohe
Prävalenz chronischer Erkrankungen wie Herzkrankheiten,
Diabetes mellitus, Fettleibigkeit, Bluthochdruck und Hyperlipidämie auf. Bei Männern, die 75 Jahre oder älter waren, und bei Männern mit hohen Testosteronwerten während der Behandlung schien das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse am größten zu sein. Die TOM-Studie war nicht auf kardiovaskuläre Ereignisse ausgelegt; daher waren die kardiovaskulären Ereignisse kein vorab festgelegter Endpunkt und wurden weder auf standardisierte Weise erfasst noch prospektiv beurteilt. Außerdem handelte es sich bei vielen der kardiovaskulären Ereignisse nicht um MACE.
Die in der TOM-Studie beobachtete höhere Inzidenz kardiovaskulärer unerwünschter Ereignisse bei mit
Testosteron behandelten älteren Männern konnte in zwei größeren Studien mit längerer Laufzeit, die vor kurzem veröffentlicht wurden, nicht reproduziert werden; in der TEAAM-Studie war die Inzidenz schwerer unerwünschter kardialer Ereignisse während der dreijährigen Intervention zwischen den Gruppen ähnlich (Basaria et al.
2015). Auch in der TTrials-Studie war die Zahl der MACE (Herzinfarkt,
Schlaganfall oder Tod im Zusammenhang mit einer Herz-Kreislauf-Erkrankung) während der einjährigen Behandlung in beiden Gruppen ähnlich, wobei sieben Männer in jeder Gruppe ein Ereignis erlitten (Snyder et al.
2016). Die Zahl der MACE in den TEAAM- und T-Trials war zu gering, um eindeutige Rückschlüsse auf die Auswirkungen der Testosteronbehandlung auf die MACE zuzulassen (Bhasin et al.
2022).
Bei hyopgondalen Männern führt eine Testosterontherapie, wenn normwertige Testosteronspiegel erreicht werden, zu einer geringeren Häufigkeit von
Vorhofflimmern im Vergleich zu unbehandelten hypogonadalen Männern (Sharma et al.
2017).
Es besteht bis heute kein Anhalt dafür, dass eine
Testosteronsubstitution ein Prostatakarzinom induziert. Die molekularen Vorgänge, durch die
Androgene das Prostatawachstum beeinflussen, sind noch nicht genau bekannt. Androgene sind essenziell für ein normales Prostatawachstum, in Abwesenheit von Androgenen kann die Prostata weder ihre Funktion noch ihre Größe beibehalten. Die ausgewachsene Prostata wächst bei einer exogenen
Testosteronsubstitution nicht über die entsprechende Prostatagröße altersentsprechender gesunder Probanden hinaus (Behre et al.
1994). In einer
Metaanalyse von 14 klinischen Studien mit über 2000 Patienten zeigte sich, dass eine Testosteronersatztherapie bei Männern, die wegen eines LOH behandelt wurden, nicht zu einer Verschlechterung des International Prostate Symptom Score (IPSS) führt (Kohn et al.
2016). Unter einer Testosteronsubstituion älterer Männer nimmt die Inzidenz von Protstatakarzinomen nicht zu (Debruyne et al.
2017). Ein manifestes
Prostatakarzinom wird jedoch durch
Testosteron im Wachstum gefördert und stellt eine Kontraindikation für eine Androgensubstitution dar. Einzelfälle von Patienten unter Testosteronsubstitution, die im Alter ein Prostatakarzinom entwickelten, wurden beschrieben (Rolf und Nieschlag
1998).
Die Prostata sollte deshalb vor und unter der Substitutionstherapie regelmäßig durch digitale Untersuchung und PSA-Bestimmung kontrolliert werden. Entsprechend des LOH-Empfehlungen (Wang et al.
2008) sollten diese Untersuchungen 3–6 Monate und 12 Monate nach Beginn der Testosteron-substitution sowie dann in jährlichen Intervallen vorgenommen werden. Eine ergänzende transrektale Sonografie ist optional.
Eine
Gynäkomastie kann insbesondere bei der Verwendung kurz wirkender injezierbarer Testrosteronester auftreten, dieses wird verursacht durch die Aromatisierung des
Testosterons zu
Estrogenen, insbesondere bei höheren Testosteronspitzenspiegeln.
Hohe Dosen von
Testosteron können zu einer
Polyzythämie führen, bei der Substitution älterer Männer mit Testosteronenanthat werden relativ häufig erhöhte Hämatokritwerte gefunden (Sih et al.
1997; Calof et al.
2005); deshalb sollten
Hämatokrit und Erythrozytenzahl während der Behandlung regelmäßig kontrolliert werden. Zur Vermeidung der Komplikationen einer
Polyzythämie muss dann eine Dosisreduktion, ein Wechsel auf transdermale Testosteronpräparate oder ein zumindest kurzfristiges Unterbrechen der Behandlung erfolgen.
Zu den Kontraindikationen für die Verabreichung von
Testosteron gehört eine Vorgeschichte von
Prostata- oder Brustkrebs (Bhasin et al.
2022). Eine gutartige
Prostatahypertrophie (BPH) an sich ist keine Kontraindikation, es sei denn, sie geht mit schweren Symptomen einher, die durch einen IPSS-Symptom-Score von mehr als 21 angezeigt werden. Männer mit einem Ausgangs-Hämatokrit von mehr als 50 %, schwerer unbehandelter Schlafapnoe oder
kongestiver Herzinsuffizienz mit Symptomen der Klasse III oder IV sollten kein Testosteron erhalten (Corona et al.
2020). Testosteron unterdrückt die Spermatogenese und sollte nicht an Männer verschrieben werden, die in naher Zukunft ein Kind bekommen möchten.
Langfristige randomisierte Studien zu den Auswirkungen der Testosteronbehandlung auf die Häufigkeit koronarer Herzkrankheiten (MACE) sind erforderlich und besonders wichtig, da selbst kleine Veränderungen der Inzidenzraten erhebliche Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit haben könnten.
Derzeit läuft eine große randomisierte, placebo-kontrollierte Studie zur Untersuchung der Auswirkungen einer Testosteronersatztherapie auf die Häufigkeit schwerer kardiovaskulärer Ereignisse bei Männern im Alter von 45 bis 80 Jahren mit niedrigem Testosteronspiegel und einem oder mehreren Symptomen von Testosteronmangel, die ein erhöhtes Risiko für
kardiovaskuläre Ereignisse aufweisen (The TRAVERSE Trial, NCT03518034). Die Interventionsdauer beträgt in dieser Studie mit über 6000 Männern bis zu 5 Jahre. Zu den Wirksamkeitsergebnissen gehören festgestellte klinische Frakturen, die Remission einer geringgradigen persistierenden depressiven Störung (Dysthymie), das Fortschreiten von Prädiabetes zu
Diabetes, die Korrektur einer
Anämie sowie die allgemeine sexuelle Aktivität, das sexuelle Verlangen und die Erektionsfähigkeit. Diese randomisierte, placebo-kontrollierte Studie bietet eine historische Chance, unser Verständnis der kardiovaskulären Sicherheit und der langfristigen Wirksamkeit von Testosteronersatz bei hypogonadalen Männern mittleren und höheren Alters zu verbessern (Bhasin et al.
2022).
An
Covid-19 erkrankte Männer mit einem ungünstigen Krankheitsverlauf haben niedrigere Testosteronserumspiegel als Patienten mit milderem Krankheitsverlauf, dieses wird meist als Folge der akuten schwereren Erkrankung gewertet. Eine Studie untersuchte nach einer COVID-19-Infektion
die Hosptalisierungsraten von Männern mit
Hypogonadismus, von eugonadalen Männern und von hypogonadalen Männern, die mindestens seit 6 Monaten eine Testosteronsubstituion erhalten (Dhindsa et al.
2022.) Diese Studie zeigte, dass Männer mit Hypogonadismus unabhängig von anderen bekannten Risikofaktoren nach einer COVID-19-Infektion mehr als doppelt so häufig in ein Krankenhaus eingeliefert werden, auch wurden die Patienten signifikant häufiger intensivpflichtig. Dieses erhöhte Risiko wurde bei hypogonadalen Männern, die zum Erkrankungsbeginn mindestens seit 6 Monaten eine angemessene Testosteronersatztherapie erhielten, nicht beobachtet. Dieses ist ein deutlicher Hinweis dass der erniedrigte Testosteronspiegel kausal für den ungünstigen Krankheitsverlauf und nicht reaktiv durch die COVID-19-Infektion bedingt war und eine bereits bestehende
Testosteronsubstitution einen günstigen Einfluss auf den Krankheitsverlauf hat.
Sonstige Hormone
Wie eingangs beschrieben, sind Veränderungen in der Testosteronproduktion nicht die einzige endokrine Änderung in der Seneszenz (Tab.
1). In den letzten Jahren wurde der verminderten Sekretion von
Wachstumshormon und
Insulin-like-Growth-Factor-1 (IGF-1) vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt. Es wird angenommen, dass die reduzierten Wachstumshormonspiegel im älteren Manne für die Änderung der Körpergestalt mitverantwortlich sind. Durch rekombinantes
Wachstumshormon ist die Möglichkeit der Substitution eröffnet worden. 1990 konnte in einer ersten kontrollierten Studie gezeigt werden, dass durch die Gabe von Wachstumshormon in älteren Männern mit Wachstumshormonspiegeln unterhalb des Normwertes von jungen gesunden Männern, eine anabole Stoffwechsellage mit einer Zunahme der Knochendichte der Lendenwirbelsäule und einem Abbau von Fett zugunsten von Eiweiß erreicht werden kann (Rudman et al.
1990). In weiteren Studien konnten die positiven Wirkungen auf die Körperkomposition bestätigt werden, jedoch konnte keine Verbesserung der Muskelkraft, oder der maximalen Sauerstoffaufnahme unter Belastung belegt werden (Vance
2003; Lombardi et al.
2005; Blackman
2002). Gleichzeitig wurden jedoch verminderte Glukosetoleranz und erhöhter Blutdruck beobachtet (Rudman et al.
1990). Daher besteht die Möglichkeit, dass sich bei einer langandauernden Substitutionstherapie Hypertonus,
Diabetes mellitus oder Kardiomegalie entwickeln. In älteren kontrollierten Studien mit z. Z. relativ hohen Wachstumshormondosen berichteten jeweils mehr als 10 % der Patienten über periphere
Ödeme oder Arthralgien (Bryant et al.
2002; Blackman
2002).
Tab. 1
Hormonelle Änderungen im Alter (bezogen auf die Mittelwerte großer Populationen, es besteht eine weite Streubreite)
| ⇓ |
freies Testosteron | ⇓ |
LH | ⇑ |
FSH | ⇑ |
SHBG | ⇑ |
| ⇓ |
| ⇔ |
| ⇔ |
| ⇔ |
Cortisol | ⇔ |
Wachstumshormon (hGH) | ⇓ |
Dehydroepiandrosteron (DHEA) | ⇓ |
| ⇓ |
Da akromegale Patienten eine deutlich
erhöhte Inzidenz von Dickdarmpolypen sowie
Kolonkarzinomen aufweisen, kann nicht ausgeschlossen werden, dass nicht auch eine Wachstumshormonsubstitutionstherapie Karzinome induzieren kann (Jenkins et al.
2006). Ebenfalls konnte gezeigt werden, dass die Inzidenz von
Prostatakarzinomen bei Männern mit hohen IGF-1 Serumkonzentrationen deutlich erhöht ist. Patienten mit hypophysäre bedingten Wachstumshormonmangel unter Substituion scheinen ein erniedrigtes Karzinomrisiko zu haben (Li et al.
2016). Eine Substitution von Kindern und jungen Erwachsenen mit humanem hypophysärem
Wachstumshormon kann zu einem leicht erhöhten Karzinomrisiko im Erwachsenenalter führen (Swerdlow
2006). Kinder, die nach einer malignen Erkrankung wegen eines Wachstumshormonmangels mit rekombinanten Wachstumshormon behandelt wurden, wiesen ein leicht erhöhtes Risiko einer Zweitneoplasie auf (Ergun-Longmire et al.
2006). Allerdings wurde ein erhöhtes Karzinomrisiko für eine Wachstumshormontherapie bei konstitutionellem Minderwuchs nicht festgestellt. Unter Berücksichtigung der potenziellen Risiken ist zum jetzigen Zeitpunkt eine Wachstumshormonsubstitution bei älteren Männern mit physiologisch erniedrigten Wachstumshormonspiegel ohne
Hypophyseninsuffizienz nicht indiziert (Aguiar-Oliveira und Bartke
2019; Ho
2007).
Ergebnisse kontrollierter Studien zur Substitution älterer Männer mit synthetischen Wachstumshormonanaloga, dem übergeordneten
Wachstumshormon Releasing Hormone (GHRH) oder IGF-1 sind bisher nicht veröffentlicht worden.
Die Substitution mit Wachstumsfaktoren, mit dem übergeordneten Releasing-Hormone oder mit IGF-1 muss als experimentell betrachtet werden und sollte bei dem heutigen Wissensstand nur in kontrollierten Studien durchgeführt werden.
In einer ersten klinischen kontrollierten Studie erbrachte eine
DHEA-Substitutionstherapie ein Ansteigen des IGF-1-Spiegels, 70 % der Patienten gaben eine Besserung des Wohlbefindens an. In weiteren Studien konnte bei älteren Männern sowie postmenopausalen Frauen eine Aktivierung des Immunsystems mit einem Anstieg der Anzahl von
Monozyten, aktivierten
T-Lymphozyten und natürlicher Killerzellen nachgewiesen werden. Eine weitere größere plazebokontrollierte Studie fand jedoch keinen positiven Effekte einer DHEA-Verabreichung (Flynn et al.
1999). Während bei gesunden älteren Frauen durch eine orale DHEA-Substitution eine leichte Verbesserung der lumbalen Knochendichte erzielt wurde, konnte bei älteren Männern keine Verbesserung beobachtet werden (von Mühlen et al.
2008). Eine Verbesserung der Muskelkraft oder der körperlichen Leistungsfähigkeit durch eine DHEA-Therapie konnte in kontrollierten Studien nicht belegt werden (de Spiegeleer et al.
2018).
Weitere kontrollierte Studien sind erforderlich, um die Wirksamkeit einer DHEA-Therapie zu überprüfen.
Eine abendliche
Melatoninsubstitution verbessert die Schlafqualität älterer Menschen (Garfinkel et al.
1995; Valtonen et al.
2005). Abgesicherte Hinweise für in den Medien häufig diskutierte tumorpräventive Potenz einer Melatoninsubstitution sind nicht gegeben. In klinische Studien konnte bisher keine Wirksamkeit nachgewiesen werden (Garfinkel und Berner
1998).
Von einigen Gynäkologen wird eine
Estrogensubstitution auch des alternden Mannes befürwortet (Umbreit
1993). Ergebnisse seit langem angekündigter kontrollierter Studien stehen weiterhin aus. Physiologisch schlüssige Belege für eine solche Substitutionstherapie sind nicht bekannt. In kontrollierten klinischen Studien mit höherdosierten Estrogenpräparaten zur Prävention der
koronaren Herzerkrankung sowie zur Behandlung des
Prostatakarzinoms wurden unter Estrogentherapie vermehrt thrombembolische sowie kardiovaskuläre Komplikationen diagnostiziert. Ferner begünstigen insbesondere bei Männern mit relativ niedrigem Testosteronspiegel erhöhte Estrogenserumspiegel die Entwicklung einer
benignen Prostatahyperplasie (Gann et al.
1995; Suzuki et al.
1995).
Eine Estrogensubstitution beim Mann ist bei dem heutigen Wissensstand nicht zu verantworten.
Selektive Androgenrezeptor-Modulatoren (SARMs) sind synthetische meist nicht steroidale testosteronrezeptorbindenden Substanzen. Sie wirken ähnlich wie anabole und
androgene Steroiden, wobei sie vorrangig in anabolen Geweben wie Muskeln wirken, während sie androgene Gewebe (z. B. Prostata) weitaus weniger beeinflussen. Die Bindungsaffinität zum Androgenrezeptor ist stärker als die von
Testosteron. Aktuell laufen klinische Studien zur Behandlung der Sarkopenie, der
BPH und des
Prostatakarzinoms (Christiansen et al.
2020). SARMs werden, obwohl nicht zugelassen, von asiatischen Herstellern in Europa und den USA vertrieben. Die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) hat ab den 01.01.2008 SARMs auf die Dopingliste gesetzt.
Auch die Behandlung mit
selektiven Estrogenrezeptor Modulatoren (SERMs) oder
Aromatasehemmern wird gelegentlich als Alternative zu einer Testrosterontherapie vorgeschlagen (Krzastek und Smith
2020). Bei den Präparaten liegen keine klinische Studien vor, eine Zulassung der Präparate zur Behandlung von Männern mit Androgenmangel existieren nicht, jede Behandlung ist somit auch als individueller Heilversuch ohne wissenschaftliche Rationale zu werten.