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AE-Manual der Endoprothetik
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Publiziert am: 17.09.2022

Hüftendoprothethik bei speziellen Bedingungen: Endoprothethik bei M. Paget

Verfasst von: Markus Rickert und Andreas Roth
Morbus Paget ist eine Knochenerkrankung, die zur strukturellen Schwäche des Knochens, Hypervaskularität und Knochendeformitäten führt. Die Ätiologie ist nicht gänzlich geklärt. Klinisch wird die Erkrankung auffällig, wenn sie Schmerzen bereitet und es zu Komplikationen wie pathologischen Frakturen, degenerativen Gelenkveränderungen, neurologischen Störungen oder tumoröser Entartung kommt. Häufig sind Becken und proximales Femur befallen. Künstliche Gelenke, vorzugsweise als zementfreie Implantate, führen zu guten Ergebnissen, erfordern aber gelegentlich Osteotomien. Die Gabe von Bisphosphonaten ist zu prüfen, um vor allem die Krankheitsaktivität zu mindern. Risiken der endoprothetischen Versorgung beinhalten Frakturen und postoperative heterotope Ossifikationen.
Morbus Paget ist eine Knochenerkrankung, die zur strukturellen Schwäche des Knochens, Hypervaskularität und Knochendeformitäten führt. Sie wurde erstmals 1877 durch Sir James Paget am St. Bartholomew’s Hospital in London bei Patienten mit multiplen Deformitäten des Knochens beschrieben (Crego-Vita et al. 2016). Die Inzidenz der Erkrankung beträgt bei Patienten älter als 40 Jahre ca. 2–3 %; die Prävalenz steigt mit zunehmendem Alter (Crego-Vita et al. 2016).
Die Ätiologie ist bisher nicht gänzlich geklärt. Vermutlich kommt es durch einen viralen Stimulus zur Aktivierung der Osteoklasten. Auch genetische und Umweltfaktoren werden vermutet (Siris 1998; Tyagi et al. 2016). Die Störung ist fokal begrenzt und beginnt initial mit einer Knochenresorption, die sich dann ausbreitet. In diesem sog. lytischen Stadium sind unter anderem die alkalische Phosphatase im Serum sowie die renale Ausscheidung von Hydroxyprolin erhöht. Es schließt sich ein kompensatorisches Stadium des reaktiven Knochenanbaus durch Osteoblasten und Fibroblasten an (gemischte Phase), bevor der Prozess in das sklerotische Stadium übergeht, das durch eine Volumen- und Dickenzunahme des Knochens gekennzeichnet wird. Schädel, Wirbelsäule, Becken sowie Femur und Tibia zählen zu den Hauptmanifestationsorten (Crego-Vita et al. 2016).
Komplikationen des M. Paget sind pathologische Frakturen des statisch insuffizienten Knochens (häufig Tibia, proximales Femur mit Coxa vara), degenerative Gelenkveränderungen (Hüfte, Knie), neurologische Symptome durch Nervenkompression und die tumoröse Entartung (sog. Paget-Sarkom) (Altmann 1980).
Klinisch bedeutsam wird der Morbus Paget, wenn der beschleunigte Knochenumbau Schmerzen bereitet oder Komplikationen auftreten.
Die Stärke des Schmerzes ist proportional zur Aktivität der Erkrankung. Es ist nicht immer einfach, den Hüft- und Beinschmerz der Patienten näher zu differenzieren, da die Knochenumbauprozesse auch ohne Gelenkbeteiligung Schmerzen bereiten können. Ursächlich können auch Nervenkompressionen im Bereich der Neuroforamina sein. Bei vorbestehender Deformität muss an Frakturen in der Schenkelhals- und der Intertrochantärregion sowie entlang des Femurschaftes gedacht werden, vor allem bei älteren Patienten an die sarkomatöse Entartung (Bolland und Cundy 2013).
In 20–80 % der Fälle sind Becken und proximales Femur befallen. Letzteres führt regelmäßig zu einer Beteiligung der Hüften (Guyer et al. 1981). Im Gegensatz zur idiopathischen Koxarthrose finden sich vermehrt eine zentrale bzw. konzentrische Gelenkspaltverschmälerung und Protrusionen des Azetabulums, eine Coxa vara sowie Verbiegungen und Verbreiterungen der Femora. Die resultierende Störung der Biomechanik kann eine Schädigung des Knorpels verursachen (Altmann 1980) und scheint der Entstehung einer Protrusionskoxarthrose Vorschub zu leisten (Lequesne et al. 1975).
Morbus Paget kann zu degenerativen Veränderungen der Hüften führen, welche eine endoprothetische Versorgung erforderlich machen.
Künstliche Hüftgelenke führen auch beim Morbus Paget zu Schmerzfreiheit. Für die Verwendung von zementfreien oder zementierten Implantaten gibt es keine definitiven Empfehlungen. Bei zementfreien Implantaten wurde eine stabile Osteointegration beobachtet. Demgegenüber wurden bei zementierten Prothesen symptomatische und asymptomatische radiologische Lockerungszeichen gefunden (Imbuldeniya et al. 2014). Bei dieser Versorgung kann die Zementpenetration in die Spongiosa aufgrund der vermehrten Blutungsneigung und Sklerosen gestört sein (Hozack et al. 1999; Wegrzyn et al. 2010).
Zementfreie Implantate bieten sich ferner an, wenn diaphysäre Korrekturosteotomien erforderlich sind (siehe unten).
Die Protrusion des Azetabulums in Kombination mit einer Coxa vara machen es mitunter schwer, den Hüftkopf zu luxieren, sodass zunächst eine Schenkelhalsosteotomie oder eine Trochanterosteotomie erforderlich werden. Die Inzidenz von Pseudarthrosen nach Trochanterosteotomie kann bis zu 13 % betragen, sodass sie zurückhaltend erfolgen sollte (Lusty et al. 2007; Wegrzyn et al. 2010).
Coxa vara und Varusdeformität sowie der sklerotische Knochen gestalten die Präparation des Femurs anspruchsvoll. Um den Femurmarkraum orthograd und ausreichend zu eröffnen, kann ein Bohrer erforderlich sein. Bildwandlergestützte intraoperative Röntgenaufnahmen zur Kontrolle von Position und Größe der Probekomponenten sind zu empfehlen.
Die Deformität des Femurs kann eine Osteotomie erforderlich machen, um den Femurschaft orthograd zu implantieren. Möglich sind proximale Femurosteotomien, aber auch multiple diaphysäre Osteotomien. Die knöcherne Konsolidierung diaphysärer Osteotomien kann verzögert sein. Sie sind trotzdem der Verwendung von Individualprothesen vorzuziehen (Merkow et al. 1984). Bei Zementierung darf allerdings kein Zement in die Osteotomie eindringen, weil er die knöcherne Konsolidierung stört (Abb. 1). Für die Überbrückung von Osteotomien eignen sich generell modulare langstielige Implantate, gegebenenfalls mit Strutgrafts supplementiert (Tyagi et al. 2016).
Die endoprothetische Versorgung beim Morbus Paget erfordert eine sorgfältige Planung. Umstellungsosteotomien können erforderlich, die Präparation von Pfanne und Femur durch eine Protrusion erschwert sein. Zementierte Implantate können eingesetzt werden (Abb. 1), zementfreie sollten jedoch bevorzugt werden. Die Implantate müssen orthograd eingesetzt, Pfannen sollten durch Schrauben zusätzlich gesichert werden.
Risiken der operativen Versorgung sind der vermehrte Blutverlust, periprothetische Frakturen und heterotope Verkalkungen.
Moderne Techniken des Bloodmanagement sind bei diesen Patienten immer zu empfehlen, um den Blutverlust so gering wie möglich zu halten. Der präoperative Einsatz von Bisphosphonaten ist zu prüfen: Er soll nicht nur die Krankheitsaktivität vermindern, sondern auch den intraoperativen Blutverlust senken (Wegrzyn et al. 2010).
Nur bei modularen, metaphysär verankerten Femurprothesen wurden keine periprothetischen Frakturen beobachtet (Tyagi et al. 2016). Die Rate scheint ansonsten unabhängig vom Typ der femoralen Fixation (zementiert oder zementfrei) zu sein. Ursachen sind eher das veränderte Belastungsmuster nach der Implantation, Stress-shielding, sowie eine vermehrte Spannungskonzentration (Stress Riser) an der Prothesenspitze (Sochart und Porter 2000). Eine varische Implantation des Schaftes sollte daher unbedingt vermieden werden. Press-fit-Pfannen sollten zusätzlich mittels Schraubenfixation versorgt werden, um eine sichere Verankerung und Osteointegration zu gewährleisten (Tyagi et al. 2016).
Nicht selten treten, unabhängig von der Aktivität der Erkrankung, postoperativ heterotope Ossifikationen auf. Die Angaben zur Prävention dieser durch Kalzitonin oder Bisphosphonaten sind widersprüchlich (Tyagi et al. 2016).
Zu empfehlen sind hier die Standards der Prophylaxe bei primärer Prothesenimplantation (Imbuldeniya et al. 2014).
Registerdaten aus Schottland (Makaram et al. 2020) und Italien (Di Martino et al. 2021) zeigen Implantat-Überlebenszeiten von 96,3 %, respektive 89,5 % nach 10 Jahren und bewerten den Eingriff, abgesehen von den bekannten Problemen des erhöhten Blutverlustes und der heterotopen Ossifikationen, als zuverlässig und unabhängig von der Art der Implantatverankerung.

Fazit für die Praxis

Die endoprothetische Versorgung bei Morbus Paget stellt hohe Anforderungen an den Operateur hinsichtlich der Vorbereitung, Planung, Durchführung und Nachsorge. Die präoperative Optimierung der medikamentösen Therapie, die Planung des Prothesentyps, ein klares OP-Konzept und ein geregeltes postoperatives Regime sind bei diesen Patienten von größter Bedeutung und für den Erfolg einer endoprothetischen Versorgung unabdingbar (Imbuldeniya et al. 2014).
Literatur
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Bolland MJ, Cundy T (2013) Paget’s disease of bone: clinical review and update. J Clin Pathol 66:924–927CrossRef
Crego-Vita D, Aedo-Martín D, Sánchez-Pérez C (2016) Case report of early aseptic loosening of total hip arthroplasty in monostotic paget disease, a diagnostic challenge. Int J Surg Case Rep 24:215–218CrossRef
Di Martino A, Coppola M, Bordini B, Stefanini N, Geraci G, Pilla F, Traina F, Faldini C (2021) Clinical and radiological outcomes of total hip arthroplasty in patients affected by Paget’s disease: a combined registry and single-institution retrospective observational study. J Orthop Traumatol 22:13CrossRef
Guyer PB, Chamberlain AT, Ackery DM, Rolfe EB (1981) The anatomic distribution of osteitis deformans. Clin Orthop Relat Res 156:141–144CrossRef
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