Zusammenfassung
Die Evidenz zur Pharmakotherapie der Anorexia nervosa (AN) ist insgesamt sowohl für Antidepressiva als auch für Antipsychotika unbefriedigend (AWMF 2018). Als primäres Zielkriterium galten in erster Linie Gewichtskriterien: Ausmaß des Gewichtszuwachses, Geschwindigkeit der Gewichtszunahme, Dauer der Behandlung bis zur Gewichtsrestitution und Anzahl der Patientinnen, die eine ausreichende Gewichtszunahme erreichten. Nur wenige Studien hatten längere Nachbeobachtungszeiten, die aber notwendig sind, um die klinische Bedeutsamkeit von Gewichtseffekten unter Pharmakotherapie beurteilen zu können. Die vorliegenden kontrollierten Studien zur Anwendung trizyklischer Antidepressiva (TCA) ergaben keine wesentliche Wirksamkeit auf Gewichtszunahme und depressive Verstimmung im Vergleich zu Placebo. Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs) haben sich ebenfalls als nicht effektiv erwiesen und dürften die Gewichtszunahme nicht unterstützen (de Vos et al. 2014). Retrospektive Untersuchungen bestätigen dieses negative Ergebnis auch für Jugendliche. SSRIs werden in der klinischen Praxis bei anorektischen Patientinnen häufig in Kombination mit Psychotherapie eingesetzt, da man sich eine Wirkung auf komorbide Störungen wie Depression, Angst, Zwang oder bulimische Symptome erwartet. Es wird jedoch berichtet, dass Antidepressiva im untergewichtigen Zustand bei vielen Patientinnen auch auf die komorbide Symptomatik nur geringe bis keine Wirkung entfalten. Es ist von einer geringen Wirksamkeit von Antidepressiva im Zustand der Starvation auszugehen (Jordan et al. 2008). Komorbide Störungen können sich alleine durch eine Gewichtszunahme ohne eine zusätzliche spezifische Therapie verbessern, sodass Entscheidungen über eine adjuvante Pharmakotherapie besser nach einer Gewichtszunahme getroffen werden sollten. Bei weiterem Bestehen einer depressiven Symptomatik nach einer ausreichenden Gewichtsrehabilitation sollte eine ergänzende Behandlung mit SSRIs erwogen werden.